Dienstag, 26. Februar 2013

W343VII: In einem anderen Land; Fußball in Tizi Ouzu in der Kabylei => Algerien Tour (18/21)

* Tag 17: In einem anderen Land; Fußball in Tizi Ouzu in der Kabylei *

Jeunesse Sportive Kabylie Tizi Ouzu (تيزي وزو شبيبة القبائل)
1 : 0
Union Sportive d’Madinet Alger - (إتحاد رياضي مدينة الجزائر)
- Datum: Samstag, 23. Februar 2013 – Anstoß: 15.00
- Wettbewerb: Algerien Ligue Professionnelle 1 (1. algerische Profifußballliga)
- Ergebnis: 1-0 nach 96 Min. (48/48) – Halbzeit: 1-0
- Tore: 1-0 45.+1 Essaïd Belkalem
- Verwarnungen: 3x JSK
- Platzverweise: keine
- Spielort: Stade 1er Novembre 1954 (Tizi Ouzu, Kap. 20.000, davon 500 Sitzplätze)
- Zuschauer: ca. 9.000 (darunter ca. 700 Gästefans)
- Unterhaltungswert: 7,0/10 (Gutes und spannendes Spiel mit guter Stimmung und überraschendem Ergebnis)
DSC06066 Photos with English Commentary:
a) Football in Kabylie: Jeunesse Sportive de Kabylie v Union Sportive d’Madinet Alger (Algerian Professional League)
b) Landscape of Kabylie: Around Tizi Ouzu

Wie in einem anderen, einem fremden Land fühlt man sich mitunter, wenn man an andere Regionen Algeriens längst gewöhnt ist – sich z.B. in Algier, Setif oder Ghardaia etwas auskennt – und dann in das Kerngebiet der Kabylei, nach Tizi Ouzu, kommt. Während man in Bejaia auch noch Arabisch kommunizieren kann und einige Leute Englisch können, kann man in Tizi Ouzu ohne Berberisch-Kenntnisse allenfalls Französisch kommunizieren. Eine oberflächlich betrachtet keineswegs von „der“ arabischen Kultur unterscheidbaren Kultur, wird einem immer wieder als etwas Besonderes näher gebracht. Aber der Reihe nach.

Zuerst einmal hieß es Abschied von unseren ganz ausgesprochen freundlichen Gastgeber in Sétif nehmen. Nach dem Frühstück kamen noch mal alle – Osman, Nadia, Sami, Souly und Susan – zusammen um mir noch einmal zu versichern, dass ich bei meinem Studienaufenthalt (wohl ab September/ Oktober dieses Jahr) immer wieder vorbeikommen kann und um uns eine gute Fahrt zu wünschen. Das mit der guten Fahrt ist aber gar nicht so einfach, denn selbst der schnellste Weg nach Tizi Ouzu ist von Sétif aus recht beschwerlich. Über den Pass beim Lella Khadidja wollten wir dann lieber doch nicht, obwohl mit dieser Dreckskarre von Peugeot kein schnelles Vorankommen auf der Autobahn möglich war, da bergauf bei massiven Gegenwind oft nur 70km/h geschafft wurden. Allerdings war erst die Landstraßenstrecke von Draa el Mizan bis zur Umfahrung von Tizi Ouzu so richtig nervend: Staus in den Orten, dauernd Drängler und kaum Möglichkeiten LKWs auf engen Talstraßen zu überholen.

Etwa zeitgleich mit einem bekloppten Kleinbus, der uns in Draa el Mizan aufgefallen war – der JSK-Fanclub Draa el Mizan on tour: laut Mucke aufgedreht, mit offenen Türen und Fenstern fahrend und bis auf den Fahrer hängten sich alle Mann grölend und Flaggen schwenkend aus den Fenstern und Türen – kamen wir am sehr sehenswerten Stadion des 1. November 1954 (Stade 1er Novembre, Malaab Noufembir al-Awwal usw. - in Französisch, Arabisch und Berberisch steht es auch über dem Eingang) an. Besonders eindrucksvoll im an das Gründungsdatum der Nationalen Befreiungsfront (FLN, Jabhet al-Tahrir al-Watani) erinnernden Stadion, ist die Kurve hinter dem einen Tor nahe am Haupteingang. Nach den üblichen 10 Reihen kommen noch eine kleine Stufe mit 12 weiteren Reihen und dann noch eine ungesicherte, zwei Meter hohe Stufe mit noch einmal 6 weiteren Reihen und einer vereinzelt an den Rand des dritten Ranges gepflanzten Krüppelpalme. Wir setzten uns dann weit oben hin, da man ja weder Sichtbeeinträchtigung durch Stacheldrahtzäune, noch die übliche Unruhe unter den Ultragruppen, von denen sich auch eine – damit ihre Rauchkerzen nicht nass werden – unter dem Tribünendach breit machte – gebrauchen konnte. Nur 1.000 Stehplätze und die 500 Sitzplätze im VIP-Bereich sind überdacht. Ansonsten sind alle drei anderen Seiten offen. Hinter der niedrigeren Hintertortribüne (da, wo die Gäste untergebracht sind) öffnet sich ein tolles Bergpanorama: die benachbarten Orte Erdjaouna und El-Bour sieht man ganz prima von der größeren Hintertorkurve aus!
Das Stade de 1er Novembre ist übrigens eines der wenigen algerischen Stadien, die eine Art Sportlerheim im Komplex vorweisen können, wobei dieses zu den Spielen über die Theke nach draußen Getränke und Essen (die berüchtigten Sandwichs mit Omelette und Pommes, aber auch sehr viel verschiedenen Kuchen) verkauft. DSC06120 Stimmungsmäßig war das mal wieder gut heute. Die gerade einmal 700 Gästefans von USM Alger waren selten zu hören und hatten nur ein paar Dutzend Flaggen, zwei Zaunfahnen und eine Nebelkerze am Start. Aber der Anhang von JS Kabylie, der neben Algerien- und Kabyleiflaggen auch Vereinsbanner in Französisch und Tamazight zeigte, supportete von drei Stimmungsgruppen (1x Haupt-, 1x Gegen- und 1x Hintertortribüne) ausgehend, ausdauernd und klangvoll. Ein paar Rauchkerzen, ein paar Flaschenwürfe und eine Schlägerei mit Krankenwageneinsatz – irgendjemand muss doch bei einem Spiel der Ligue 1 immer vom Zivilschutz abgeholt werden... – rundeten das übliche algerische Fangebaren zwischen euphorisch-stimmungsvoll und aufgeladen-aggressiv, ab. Allerdings war die Zuschauerzahl, die nicht einmal die 10.000er-Marke erreichte, für die Ligue 1 ziemlich dürftig.

Nicht zuletzt lohnte auch das Spiel zwischen dem Siebten und dem Dritten das Kommen. Susan hatte ja nach dem Spiel von Setif zu mir gemeint, dass ich auch mal JSK gucken solle, da die auch zu den Spitzenmannschaften zählen würden – und tatsächlich meldeten sich die Kabylen mit einem Überraschungserfolg gegen den längst schon enteilt scheinenden Club der Stadtverwaltung Algier zurück. JS Kabylie bestimmte das Spiel und ließ USMA kaum zur Entfaltung kommen. Allerdings wurde Chance um Chance vergeigt, ehe in der Nachspielzeit der ersten Hälfte Belkalem den Ball aus Nahdistanz hoch ins lange Eck zimmerte.

In der zweiten Hälfte kam Algier etwas besser ins Spiel, doch konnte keinen Treffer erzielen. Die endgültige Entscheidung vergab auch Kabylie mit den zu schwachen Kontern.
Insgesamt war das Spiel aber gut und spannend. Technisch war es auch anspruchsvoll, v.a. wenn man solche Zuspiele wie die von JSK betrachtet: den Ball mit einem Sprungtritt vorm ins Aus Rollen bewahrt, der nächste leitet ihn aus der Luft mit der Hacke zum dritten weiter, der ihn mit der Brust stoppt und dann flach zurück passt.

Um uns herum feierten natürlich alle minutenlang den Sieg – auch gerade der freundliche junge Mann, der mir vorher auf Französisch was erzählte, wie sehr der Verein JS Kabylie die Berber bzw. Kabylen repräsentiere; ihre Identität und Kultur, die ja auch sehr unterschiedlich von der arabischen sei. Wenn ich mir aber ansehe, dass die Berbersprache in dutzende Dialekte, die teilweise schwer untereinander zu verstehen sind, zerfällt, die Berber in nicht zusammenhängenden Regionen siedeln, sich oft mit Arabern und anderen mischen und dann politisch völlig zerstritten sind – nur einige Radikale wollen die Unabhängigkeit der Kabylei von Algerien, obwohl diese die strukturschwächste Region Algeriens ist – die meisten verlangen nur mehr Autonomie bzw. mehr kulturelle Förderung als sie bisher haben, wobei letzteres sicher vernünftig ist – und wenn ich auch sehe, mit wie vielen anderen Einflüssen sich die arabische Kultur in Algerien mischt, sodass sie sowieso in eine bestimmte algerisch-arabische bzw. nordafrikanische Kultur übergeht, frage ich mich, was eigentlich das Besondere an den Kabylen oder Berbern sein soll, außer dass sie Probleme mit dem Arabischen (und zwar auch mit Darija, nicht nur mit dem ohnehin etwas altmodischen Fusha) haben...

In der hässlichen Innenstadt von Tizi Ouzu suchten wir dann erfolgreich nach einem Hotel. Das „Bahnhofshotel“ (Hotel de la Gare) war allerdings ziemlich überteuert. Recht große und ganz ordentliche Räume, aber keinerlei Extras wie Glotze oder Internet – da sind in Algerien knapp 20€ pro Person zu hoch. Aber immerhin bekamen wir überhaupt ein Zimmer: Eigentlich ist diese Absteige nämlich kein Devisenhotel, sodass man nur in Ausnahmefällen als Ausländer ein Zimmer bekommt. Das Restaurant daneben war im Übrigen auch schlecht, nur wenigstens nicht so teuer. Hier war aber auch wieder nervig, dass man sich nur Französisch verständigen konnte, obwohl die Kabylen im Raum Tizi Ouzu oft gar nicht so gut diese Sprache beherrschen, da nirgendwo in Algerien die Zahl der Schulverweigerer so hoch ist wie dort. Jedenfalls: Hotellerie und Gastronomie scheinen in Tizi Ouzu so scheiße zu sein wie die Stadt selber. Das Beste an Tizi Ouzu ist wirklich das Stadion mit seiner Mannschaft Jeunesse Sportive de Kabylei bzw. Chabeebeh Kabayil (شبيبة القبائل) oder Ilemziyen Inaddalen n Leqbayel, was zu Deutsch „Sportverein der Jugend der Volksstämme aus Ginsterpass“ (Kabylen = Qabayil; Volksstämme, die vor den Arabern in Algerien waren, und Tizi Ouzu = Pass [des] Ginsters) heißt... DSC06114 Statistik:
- Grounds: 868 (heute 1 neuer; diese Saison: 100 neue)
- Sportveranstaltungen: 1.718 (heute 1, diese Saison: 141)
- Tageskilometer: 300 (300km Auto [Mietwagen])
- Saisonkilometer: 35.900 (32.550 Auto/ 1.600 Flugzeug/ 1.600 Fahrrad/ 80 Schiff, Fähre/ 70 Bahn, Bus, Tram)
- Anzahl der Fußballspiele seit dem letzten 0-0: 27 [Letzte Serie: 6, Rekord: 141]
- Anzahl der Wochen, seit der letzten Woche ohne eine einzige Sportveranstaltung (31.7.-6.8. 2006): 343

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