Donnerstag, 23. September 2010

W215IV: Ein Tagesausflug nach Norwegen; alles ist sauteuer, aber Fußball kann man gratis gucken

Råde IL 2:3 FK Sparta Sarpsborg
Samstag 11. September 2010 – Anstoß 15.00
5. divisjon Menn avdeling 01 (6. norwegische Liga, 2. Amateurliga)
Ergebnis: 2:3 nach 92 Min. (45/47) – Halbzeit 1:0
Tore: 1:0 19. Henning Fredriksen (Schreibung ?), 1:1 60. Ali al-Isserou (Schreibung ?), 2:1 63. Henning Fredriksen (Schreibung ?), 2:2 65. Lars Peterhansen (Schreibung ?), 2:3 73. Ali al-Isserou (Schreibung ?)
Verwarnungen: je zwei Gelbe für jedes Team, Platzverweise: keine
Spielort: Råde Idrettspark (Kap. 1.836, davon 800 unüberdachte und 36 überdachte Sitzplätze)
Zuschauer: ca. 65 (davon ca. 15 Gästefans)
Unterhaltungswert: 7,0/10 (Spannendes und gutes Spiel)
Sightseeing: 6,5/10 (Zwei große, interessante Festungen + schöne Landschaft, am Rande: Dorfkirche und Menhire)
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Photos and English version:
Amateur football in Norway:
Råde IL vs. FK Sparta Sarpsborg
Bohus and Halden fortresses:
The Swedish-Norwegian border castles

Wenn man schon durch Schweden reist, kann man schon mal einen Abstecher nach Norwegen machen. Unser Hauptanliegen war, den Groundpunkt mit einem in einem interessanten Stadion stattfindenden Spiel im teuersten, aber ganz bestimmt nicht schönsten oder sympathischsten Land Europas zu machen.

Wir brachen recht früh von Göteborg gen Norden auf und schauten uns erst noch die Festung Bohus in der Kleinstadt Kungälv, wenige Kilometer nördlich von Göteborg gelegen, an. Bis ins 18. Jahrhundert verlief die schwedisch-norwegische Grenze dort, sodass Bohus auf der kleinen Insel im Fluss Nodre älv, eine wichtige Grenzfeste bildete. Die barocken Festungsmauern sind enorm hoch und dick und wurden um den mittelalterlichen Kern mit dem Turm herumgebaut. Bohus wurde im 12. Jhdt. errichtet und ist somit die älteste Burg in Schweden.

Die Grenze der beiden Reiche verlagerte sich im frühen 19. Jhdt. weiter nördlich, sodass die Festung Halden, heute knapp in Norwegen gelegen, die neue Grenzfeste bildete. Wie fest die Grenzen noch sind, wusste ich gar nicht: dass an den wichtigsten Grenzen zwischen beiden Ländern immer noch kontrolliert wird, war mir neu. Allerdings handelt es sich um Stichproben, wobei man mit einer deutschen Nummer garantiert zur Seite gewunken wird. Dort fragt einen dann ein Zöllner nach Pass, Reiseplänen und anzusteuernden Hotels, evtl. auch Wagenpapieren. Der junge Grenzer warf dann noch einen Blick in den Kofferraum wegen zu verzollender Waren und ließ uns, nachdem er sich erfreut die Erklärung zum Reiseziel „Halden castle and football match Råde against Sparta Sarpsborg“, nämlich dass wir gerne Fußball im Ausland, so auch Norwegen, sehen, anhörte, ein gutes Spiel wünschend weiterfahren.

Halden ist auch einen Abstecher wegen der Festung wert. Ansonsten fragt man sich, wieso die Einheimischen ihre schöne Fjordlandschaft so mit minderwertiger Architektur zustellen, wie in Halden. Der Ort sieht aus wie ein Kaff in der hintersten Ecke Ostpolens, wobei das Einkommen der Leute in Norwegen bei weit mehr als dem Doppelten des polnischen Einkommens liegt. Aber bei den Preisen auf Dinge des täglichen Bedarfs (in einem einfachen Restaurant kosteten Schnellgerichte wie Hamburger 8€, Chop-Suey 14€ und aufwendigere Gerichte wie chinesische Ente 25€ - da drängten wir nicht nur aus Zeitgründen weiter; Benzin kostet 1,60€ und Diesel 1,40€ je Liter; auch Zutaten fürs Selbstkochen liegen klar über deutschen Großstadtpreisen) scheint das Geld nicht mehr für ordentliche Häuser zu reichen. Früher hat das Geld aber für ordentliche Festungen gereicht: die uneinnehmbar über der Kleinstadt thronende Festung kann man auch weitestgehend kostenlos besichtigen. Die Außenstützpunkte dieses weitläufigen und mit einem Golf- und einem Campingplatz durchzogenen Geländes, sind besonders interessant: der übliche Festungsbaustil, ungesichert, originalgetreu erhalten, auf bemoosten Felsen zwischen windgeformten Nadelbäumen errichtet. Das Hauptfort sieht man auch gut vom „Normanstieg“ – einer dieser tollen Felsen mit den Moosen, Flechten, Heidekraut und krummen Kiefern; das alles mit Blick auf den Fjord – aus ein. Da braucht man wirklich nicht die 7,50€ Eintritt zu zahlen.
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Wir rasten mit unglaublich fahrlässigen 100km/h über die norwegische Autobahn – die DDR-Erfahrenen werden sich noch an die Zeiten erinnern, wo derart schwachsinnige Tempolimits auf zwei- bis dreispurigen Autobahnen galten, wobei die Norweger meist 120 und nur wegen der stationären Kontrollen auf Landstraßen sehr zurückhaltend fahren – und kamen schnell in Råde, auf halben Weg in die Hauptstadt Oslo, an. Råde ist ein typisch norwegisches Kaff mit einfachen Holzhäusern bzw. holzverkleideten Steinhäusern, denen man einen architektonischen Charme jedoch nicht absprechen kann, bewirtschafteten Feldern, wuchernden Wiesen, kleinen Nadelwaldstücken, einer kleinen Dorfkirche und einer ringförmigen Anordnung von Menhiren: pro Kreis 14 bzw. 13 bis zu 50cm hohen Steinen, die eine steinzeitliche Grabanlage darstellen.

An einer Tankstelle, wo wir wieder froh waren unsere Karre in Schweden vollgetankt zu haben, wo wir 0,30€ weniger pro Liter zahlen, holten wir uns sehr leckere mexikanische Wraps – dass die einen Tag überm Verfallsdatum waren, merkte man überhaupt nicht, da die Arschlöcher nicht einmal im Preis runter gingen und das kommentarlos verkauften – und ein tolles norwegisches Sandwich mit drei Stockwerken: Bulette, Schinken, Rührei. Das machte dann 24€. Pervers, diese Preise – für zwei Sandwiches (2 x 7,50€) und zwei Wraps (2 x 4,50€). Schweden meinten auch schon zu mir, dass sich viele Norweger mächtig was auf ihr Geld einbilden und das den nicht-norwegischen Gegenüber auch spüren lassen würden – also genau das, was mir Syrer über Saudis geklagt haben. Aber so etwas passiert, wenn eine Nation von ungebildeten Fischern und Bauern plötzlich durch fremdes Know-how ihre Erdölschätze fördern kann und sich dadurch dumm und dämlich verdient. Wenn man sich über diese sogenannten „Rentierstaaten“ aufregt, sollte man nicht bei den Scheichtümern im Arabischen Golf anfangen, sondern erst einmal gucken, was da an der EU-Außengrenze – ja, Norwegen ist sich zu fein der EU beizutreten – so abgeht.
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Um drei Uhr stand jedenfalls der Anlass des Tagesausflugs an. Völlig bekloppt, wie das mit dem Geld in Norwegen nun mal ist, gab es freien Eintritt zum Spiel. War zwar nur zweite Amateurliga, aber normalerweise muss man da mit 5€ Eintritt rechen. Jedenfalls habe ich das Spiel wegen der zeitlichen und geographischen Lage ebenso wie wegen dem Stadion „Råde Idrettspark“ heraus gesucht. Der Ballspielpark hat eine im Rücken von hohen Nadelbäumen umstandene und einem niedrigen Drahtzaun umschlossene Sitztribüne (Holzgerüst mit 800 bemoosten Schalensitzen in vier Blöcken und vier Reihen), hinter der sich eine im Sprecherturm integrierte überdachte Tribüne für 36 ausgesuchte Persönlichkeiten befindet, zu bieten. Auch das Vereinsheim ist recht auffällig. Alles in allem ist diese altmodische und etwas heruntergekommene, aber gerade deshalb so sympathische Sportanlage, typisch für Skandinavien, wobei sie so auch z.B. in Makedonien stehen könnte.

Sympathisch war auch der Punkt, dass es sich bei der Begegnung der zweiten von sechs Amateurligen um Amateurfußball vom Feinsten handelte: der Tabellenführer (und aufgrund der fantastischen 41 Punkte aus 19 Spielen sicherer Aufsteiger) Sparta Sarpsborg – eine Ausgliederung der Amateurabteilung aus dem Profiverein (Profis spielen 2. Liga) – war beim drittplatzierten Råde IL zugast. Der Ball lief locker aber von den Spielern nicht immer fehlerfrei behandelt über das vom Dauernieselregen feuchte Grün des Rasens. Die eine Eckfahne hatte gar keine Fahne mehr, dafür hatte ein kleiner Junge vom Gastverein eine Fahne seiner Sparta mitgebracht, deren Flaggstock bald länger war als er selbst. Neben der Gästebank hatten sich einige, mit lobenden Zurufen und Beschimpfungen immer wieder aufs Spiel reagierende Sparta Fans aufgestellt. Der Schiri wurde von Linienrichtern assistiert, die von den beiden Vereinen kamen. Der Sarpsborger Linienrichter telefonierte während des Spiels einfach mal minutenlang mit dem Handy und war trotzdem auf Ballhöhe. Weitere Gästefans fluchten in vertrauten slawischen Sprachen - „Kurwa!“ - und wieder eine andere Gästegruppe trank viel Bier und Schnaps auf der VIP-Tribüne, was sich in gelalltem Gegröle entlud.

Auf dem Platz fiel das erste Tor nach 19 Spielminuten: eigentlich hatte der Spieler von Råde den Ball schon verloren, doch der Gästetorwart rutschte aus und der Spieler der Heimmannschaft kam doch noch an ihm vorbei um zum 1:0 einzunetzen. Chancen auf beiden Seiten blieben erfolglos – so eng einige auch waren. Die technischen Fertigkeiten mehrere Spieler – vor allem des Achters von Sparta, der zwar langsam war, aber den Ball auch gegen zwei Gegner noch mit Hackentricks und Hebern zum nächsten Mitspieler zu behaupten wusste – fielen positiv auf. Nach der Pause fiel dann Sarpsborg noch häufiger positiv auf. Der Augleich fiel nach einer Stunde durch einen Nachschuss aus Nahdistanz. Trotzdem kam Råde noch einmal zurück und erzielte per Kopfball nach einem langen Freistoß die erneute Führung. Innerhalb weniger Minuten aber, war Sparta wieder erfolgreich: einiges Gestocher im Fünfmeterraum später und der Ball lag zum 2:2 Ausgleich im Netz. Dann ein Weitschuss, der über die Hände des Torwarts rutscht und es steht 2:3. Das sollte auch der Endstand sein, obwohl Råde allein in den letzten zwei Minuten drei gute Chancen zum Ausgleich hatte.

Das Fußballspiel vermittelte den sympathischsten Eindruck von Norwegen. Aber als wir eine weitere Stunde gefahren waren, waren wir schon froh dieses Land verlassen zu haben. Norwegen kann ich keinem empfehlen, da es ein überteuertes und dabei nicht einmal besonders herausragendes und dünn besiedeltes Land ist, das neben Stabkirchen und vereinzelten Forts wenig Sehenswertes außer Landschaft, die man in Schweden (Hinterland) und Färöer (Küsten) auch so hat, bieten kann und mit Industrie zugestellt, aber dann doch so bäuerlich ist.

Diesmal kontrollierte keiner, als wir nach Schweden rüber fuhren, wo die Fahrerei nun weitaus schöner war, als zuvor in Norwegen oder am Tag davor zwischen Malmö und Halmstad. Auf den ortsdurchfahrtsfreien Landstraßen fuhr es sich schön zwischen Wäldern, Felsen und Seen, die noch schöner waren als auf der norwegischen Seite. Hier wurde dann auch endlich vernünftig Auto gefahren: auf dem Autobahnteilstück fuhr ich z.B. mal hinter zwei Schweden her, die einen Linke-Spur-Schleicher (95 statt 110) mit 125 rechts überholten...

In Karlstadt hatten wir zwar das teuerste Hotel der ganzen Reise (70€ im DZ im Ibis), aber in Norwegen kosten schlechte Absteigen locker 100€. Das Abendessen sollte eigentlich schwedisch sein, aber die ganzen Lokale in der Hauptstraße der Altstadt sind Nachtclubs und Discos mit gutem aber teurem Speiseangebot, sodass wir auf einen daneben liegenden orientalischen Imbiss zurückgriffen. Selten so einen guten Kebabteller gegessen! Wir unterhielten uns auch noch etwas mit dem Chef, einem irakischen Kurden, der die allgemein geläufige Meinung über die toleranten Schweden und ihre Bereitschaft Einwanderer zu integrieren, nur teilweise bestätigen konnte. Nach diesem Gespräch lohnt es sich richtig, mal am nächsten Wochenende die Meinung eines Assyrers einzuholen. Die sollen nämlich besonders gut integriert und von den Schweden akzeptiert sein. Denn die schwedische Sprache ist zwar definitiv ein Schlüssel zu Integration, wie ja auf etlichen Plakaten in schwedischen Großstädten geworben wird, aber es ist halt ein Schlüssel des Schlüsselbundes – nur mit dem hervorragenden und z.B. in Deutschland so gar nicht vorhandenen Landessprachkurspflichtangebot, kann man halt auch nicht alle Probleme dieses Bereiches lösen: schon gar nicht jene, die von den Einwanderern ins Land getragen werden, wofür Kurden nun mal aus guten Gründen besonders berüchtigt sind.
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Statistik:
Ground Nr. 468 (ein neuer Ground; diese Saison: 18 neue)
Sportveranstaltung Nr. 1.062 (diese Saison: 24)
Tageskilometer: 470 (Auto)
Saisonkilometer: 5.110 (3.550 Auto/ 1.120 Fahrrad/ 380 Bahn, Bus, Tram/ 60 Schiff, Fähre/ 0 Flugzeug)
Anzahl der Fußballspiele seit dem letzten 0-0: 51
Anzahl der Wochen, seit der letzten Woche ohne eine einzige Sportveranstaltung (31.7.-6.8. 2006): 215

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